A. Systemwandel
Wir leben zunehmend in einer Gesellschaft, in der nicht mehr abgetrennte Produkte oder Menschen (Experten) entscheidend sind, sondern Funktionen, die zunehmend global auf der Basis von Plattformen funktionieren. Die „Zeitwende“ hatten wir bereits Mitte der 90er Jahre bei Xerox zur Abwehr des japanischen Qualitätsangriff in DACH mit Erfolg pilotiert. Nicht mehr abgetrennte Produkte -die Japaner hatten in den Produkten in Qualität, Preis und Kundenservice Xerox in seiner blinden Arroganz des Erfolges alter Zeiten den Rang nach Ablauf der Patente mächtig abgelaufen- standen im Zentrum, sondern die Total Cost of Ownership, verbunden mit Business Prozess Outsourcing. Anders ausgedrückt Xerox verkaufte über seine Digitale Service Einheit Xerox Professional Services nicht mehr einzelne Drucker sondern Scan, Druck und Kopier-Funktionen verbunden mit Archievierungs-, Eingangspost- und (SAP) Ausgangspostlösungen usw. Doch der Xerox-Konzern war nicht konsequent genug im Wandel, hing an der „Kultur“ trotz umfangreicher Change Management Bemühungen fest. Als der Europa Chef von Xerox nicht die Führungsparameter ändern wollte verließ ich Ende 2000 den Konzern als Geschäftsbereich-Leiter und ging nach Zürich, um von dort aus Strategieprozesse der Weltkonzerne mit digitalen Tools zu optimieren. 2014, also 15 Jahre später schrieben Porter & Heppelmann im HBR über das, was wir bei Xerox als erste aus Deutschland gemacht haben als allgemeinen Trend in der Digitalisierung. Damals wunderte ich mich, dass dies mal wieder Amerikaner wissenschaftlich vermarkteten, was wir in Deutschland zuerst ausprobiert hatten.
Quellen: [How Smart Connected Products are Transforming Competition]
(How Smart, Connected Products Are Transforming Competition)
Während wir heute noch nicht richtig verstanden haben, was da passiert laufen uns die Big Five in den USA (Amazon, Apple, Google Meta, Microsoft) im Systemzeitalter davon. Momentmal, uns, der Nation der Systemtheoretiker? Was ist da denn los? Zeit für Metakognition! Wer ist eigentlich dafür zuständig? Das BMBF? Die 3 großen staatlichen Forschungsnetzwerke, die wir mit unseren Steuergeldern unterstützen?
Nach meinen Erfahrungen mit diesen Institutionen frage ich, ob diese überhaupt die notwendige Entscheidungskompetenz und Motivation habe, um grundsätzlich das zu machen, was notwendig ist (s. Artikel von gestern). Nicht Assimilation sondern Akkommodation ist gefordert. Doch jedes Teil denkt nur an sich. Immer wieder sehe und höre ich das. Als Privatier schaue ich nur noch auf den Sinn und erkenne Geld und Machtspiele deutlicher als früher.
Konkretes Beispiel? Von einem der 3 großen staatlichen Forschungsnetzwerke wurden wir einen Monat vor dem Corona-Lockdown rüde zurückgepfiffen, als wir die fehlende Entscheidungskompetenz vorher sagten und eine Lern- und Innovationsfunktion nach Vorschlägen von Luhmann, Giddens und sozio-technischen Konzepten entwickeln wollten, die wir vorher in einem dt. Weltkonzern erfolgreich pilotiert hatten. Ehrenamtlich. Wir investierten bereitwillig Zeit, Geld und Kontakte. Als wir als Dank mit den Worten „Corona ist unter Kontrolle. Wer das Gegenteil behauptet ist ein Spinner. …bei dem Thema verlieren wir wichtige Politiker.“ Anfang März 2020 beleidigt bzw. bedroht wurden war ich das erste mal grundsätzlich von der arroganten Dummheit Deutschlands entsetzt. Als dann das Hochwasser kam und dazu der Ukraine Krieg wurde das überdeutlich, was bereits 1971 Systemtheoretiker vorher sagten: unser Rechtssystem hat eine (massive) Lern- und Lösungsschwäche für Dinge, die außerhalb des politischen Tagesgeschäfts liegen. Doch die Tagespolitiker reißen auch hier die Deutungshoheit an sich und versagen mit Ansage im Speziellen, weil es im Allgemeinen nun mal so organisiert ist. Und wir? Wir unterhalten uns im Sinne Sokrates dumm, denn wir reden nur über die Schatten, vollkommen überschätze Politiker, die keine sicher gestellte Entscheidungskompetenz haben.
Konkret fehlen keine Experten, die immer weiter zur Kompensation in unserem Staatsapparat auf Kosten der Steuerzahler aufgebaut werden. Es fehlen auch keine Produkte. Es fehlt an einer Funktion, welche die Zukunft in seinen Chancen und Risiken vorhersagt. Methodisch. Und diese Funktion muss das Erkannte (RADAR) dann auch konkretisieren (LEARN). Wie wirkt der neue Purpose als Chance oder Risiko auf unser gesellschaftliches System und alle seine Bestandteile? Weiter muss diese Funktion Ideen generieren, wie am besten auf diese systemischen Intervention zu reagieren ist (INVENT). Und auch hier darf noch nicht Ende sein, denn die Ideen müssen ja dann noch professionell umgesetzt, in die Welt gebracht werden (TRANSFORM). Etwas, wo sich ganz deutlich die Spreu vom Weizen in unseren agilen Innovationsspielräumen trennt.
So eine Funktion hört sich mächtig an. Das ist sie auch. Genau so eine Funktion hatten wir 2015 bis 2017 in einem der größten deutschen Konzerne in einem offenen ECO System konzipiert. um auf die Chancen und Risiken der Digitalen Transformation innerhalb von 3 Monaten reagieren zu können. Von der Fragestellung bis zur organisierten Reaktion. Über 30 Projekte steuerte ich damit als Leiter in Time und Budget. Das war meine Aufgabe. Vollkommen überraschend gewannen wir damit höchste Auszeichnungen. Aber auch hier wieder: trotz Beteiligung eines großen dt. Forschungsnetzwerkes schauten alle nur auf die Ergebnisse, die Produkte dieser Funktion und erkannten nicht, dass es die Funktion ist, die für den Erfolg hauptsächlich verantwortlich war. Selbst unsere Professoren sitzen in Platons Erkenntnishöhle !
Als ich dann von Max Planck den Auftrag bekam ein ECO System für die alternde Gesellschaft wie vorher in Spanien für Europa zu konzipieren fragte ich mich, als ich die Ausschreibung las, wer denn hier bitte die Entscheidungskompetenz hat. Die Ausschreibung konterkarierte in seiner Struktur den „Übersinn“ des Ganzen, da das ECO System nach alter Denkart wie eine Sammlung von Projekten geführt werden sollte; also das Ganze nur die Summe seiner Teile ist, aber nicht mehr. Abtrennung pervertiert den allgemeinen Grundgedanken eines ECO Systems (vgl. Finanzholding). Und wir zahlen für diesen Unsinn Steuern. Irre. Metakognition unerwünscht.
Ich behaupte, Deutschland hat ein riesen Problem in seiner Organisation, da wir unser Denken und Lenken darin abgetrennt haben. Unseren ersten Wert, die Einheit haben wir längst verloren. Ein System, welches seine eigenen Werte nicht in Struktur und Handlung (s. Bild) nicht täglich reflektiert und erneuert darf sich nicht wundern irgendwann sinnlos zu implodieren. Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand.
Bei uns ist das Ganze nicht mehr als die Summe seiner Teile. Wenn wir das nicht schnellstens ändern werden wir den Anschluss an China, Asien, die USA weiter verlieren. Xerox ist heute nur noch ein Schatten seiner selbst. Wollen wir das gleiche Schicksal nehmen?
Die Kultur der Dichter und Denker wird mit den Füssen getreten. Noch deutlicher: Unsinn regiert! Dabei sind die Personen egal, die Organisation lässt es gar nicht anders zu, wenn wir nicht kompensieren (dazu weiter unten ausführlicher).
Macht beherrscht den Sinn, obwohl Demokratien genau das verhindern wollen, wenn man Demokratie mal grundsätzlich und nicht nur immer wieder in seinen speziellen Figürchen denkt.
Und nun mehren sich sogar wissenschaftliche Auseinandersetzungen, die Demokratien als Auslaufmodell bezeichnen. Vgl. dazu folgenden Artikel. Aber auch auf dieses dramatische Risiko passiert nichts. Im Wohlstand erstarrt?
Wer hat die Digitale Deutungsmacht?
Deutschland wird auch außerhalb des Landes zunehmend als närrisch bezeichnet. Unsere Governance trägt hier die Hauptschuld. Doch diese freuen sich weiter auf ihre üppigen Pensionen; ein Scherbengericht gab es bei den weisen Griechen. Bei uns können Politiker nur gewinnen und das Volk bezahlt. So haben wir Art. 20 GG nun einmal organisiert.
Ist unser System gar so kompliziert, dass wir den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen? Ja. Wir haben uns, wie es Schiller und Goethe voraussagten in der Abgrenzung sinnlos verloren. Wer trägt hierfür die Schuld, wer kann das außer dem Bundespräsidenten sinnvoll ändern?!
Reden wir mal Klartext. 1971 machte der noch junge Luhmann, bevor er der Konstruktion der Autopoiesis (Selbsterhaltung) meiner Ansicht nach zu sehr erlag, eine allgemeine Feststellung über unser System. Unsere Gesellschaft ist dem Charakter nach ein Rechtssystem mit enormen Vorteilen. Doch wie alles in der Welt hat alles neben Vor- auch Nachteile, die zu kompensieren sind. Daher ist eine dualistische Organisation wie die unserer politischen Funktion unterkomplex!
Ein deduktives Rechtssystem betrachtet nur Bekanntes. Für das Neue gibt es gar keine organisierte Funktion. Daher schlug Luhmann vor, die simple Machtorganisation über das Recht („Command & Control-Hierarchien“, mono-kausal) durch eine zweckprogrammierte Funktion zur Entdeckung und Lösung neuer Aspekte zu kompensieren.
Genau das machten wir im Konzern, und es funktionierte, auch wenn es die Macht irritierte. Learning: Der CEO selber, die Governance eines Systems muss das Zusammenspiel koordinieren. Ansonsten steigt der Politisierungsgrad des Systems dysfunktional an. Wie gerade in unserer Gesellschaft.
Diese Lern- und Innovationsfunktion bezeichne ich platt mit Zukunftsfunktion. Diese formulierten wir später in Automotive weiter aus. Aber auch hier, solange die Governance ihr Dilemma nicht überwindet und die Digitalisierung weiter grob fahrlässig als Intervention auf unsere Gesellschaft und alle ihre Subsysteme unterschätzt und die Selbstheilungskräfte der operativ-strategischen Einheiten überschätzt, so lange glaube ich nicht an eine vergleichbar erfolgreiche Zukunft. Ohne Zukunftsfunktion verpassen wir weiter unsere Chancen und die Risiken werden zuerst zu Krisen und dann zu Katastrophen.
B. Jenseits der Kompetenzfalle
Meine Lehren aus dem Gelernten in 31 Jahren Digitalisierungsarbeit in 3 Weltkonzernen, dem größten Ministerium, dem DST uvm. gebe ich bereitwillig weiter.
Mit Prof. Göbel, Grundlagenforscher Organisation und Führung arbeite ich neben dem ROMI Institut seit 2019 immer wieder zusammen, um die Abtrennung der Wissenschaft von der Praxis zu kompensieren. Hier gebe ich Ihnen ein entscheidende Formulierungen unseres neuen Artikels etwas gekürzt wieder:
„Das Ausbalancieren von Exploration und Exploitation stellt, wie in der vorliegenden Fallstudie deutlich geworden, Führungskräfte vor ein Dilemma. Beide Optionen bieten unterschiedliche Arten von Erfolgschancen (Berger, Bernhard-Mehlich & Oertel 2014, 147 ff). Während die Anpassung und Optimierung bestehender Geschäftsmodelle in der Regel relativ schnelle und sichere Erfolge „vor Ort“ verspricht, ist der Nutzen von Experimenten relativ unsicher, langfristiger erkennbar und nicht lokal beschränkt. Dieses Dilemma wird in Organisationen tendenziell zugunsten von Exploitation aufgelöst: Die einflussreichen Leitungen der BU’s und Funktionsbereiche präferierten digitale Lösungen mit kurzfristigen, sicheren und lokalen Erfolgen. Die vom Accelerator favorisierten systemischen Alternativen, die auf inter- und intraorganisationale Grenzen überschreitende Geschäftsmodelle setzten, bewerteten diese hingegen in Punkto Erfolgsaussichten als wenig verlässlich, zu langfristig angelegt und ggf. anderen Akteuren innerhalb und außerhalb des Unternehmens zugutekommend (vgl. Bereichsegoismus, gefangen im eigenen System). Ein derartiges Ungleichgewicht zugunsten der Optimierung und Modifikation des Bekannten birgt – wie in unserem Beispiel die Gefahr - , dass Organisationen in sog. Kompetenzfallen (Berger, Bernhard-Mehlich & Oertel 2014, 148 ff) laufen. Im Zuge der digitalen „Optimierung“ bestehender Geschäftsmodelle sammelten die BU’s wenig neue Erfahrungen und verbesserten Praktiken, die im Zuge der digitalen Revolution rapide an Bedeutung verlieren. Dieser Strukturkonservatismus [am MIT spricht man von strukturlimitiertem Bewusstsein] führte letztlich dazu, dass der Konzern zu wenig Erfahrungen und Kompetenzen in neuen und überlegenden Themengebieten – wie etwa Eco-Systemen – machte und damit Gefahr läuft, seine Zukunft zu verspielen. Um dieser Kompetenzfalle zu entgehen, benötigen Organisationen eine Lern- und Innovationsfunktion, die bestehende Chancen und Risiken von innovativem aber auch strukturkonservativem Verhalten benennt. Erste Erfahrungen mit dieser als ROMI-Methode benannten Lern – und Innovationsfunktion in der Automobilindustrie waren erfolgsversprechend und werden Gegenstand weiterer Forschung.“
Mit eXsolut aus Aachen haben wir die Grundzüge der ROMI Zukunftsfunktion in ein Software-Tool überführt. Hierüber erhält der CEO seine Entscheidungskompetenz zurück. Denn das Tool sammelt alle erkannten Chancen und Risiken in einem Leitstand, der den Bearbeitungsstand zeigt. Hierdurch werden auch die gesteigerten Anforderungen des Deutschen Corporate Governance Kodex adressiert.
C. Fazit
Wollen wir unsere Entscheidungskompetenz in der Digitalisierung zurück gewinnen, dann müssen wir nicht etwa, wie es einige wissenschaftliche Darstellungen und Filme fern jeder Praxis suggerieren wollen, unsere Hierarchien in Netzwerkorganisationen in der veralteten „entweder-oder“ Logik überführen sondern beide Ansätze sinnvoll miteinander verbinden. Hierzu muss die Governance Sorge tragen. Am einfachsten gelingt dies, so wie es Luhmann bereits 1971 vorschlug, durch eine kompensierende Funktion, die z.B. als Stab des Vorstandes agiert und für Ordnung in der Digitalen Transformation im Gesamtsystem sorgen kann.
Bei Interesse hilft das ROMI Institut mit weiteren Details gerne weiter.