Die Basis militärischer Abschreckung: gesellschaftliche Resilienz

Der derzeit diskutierte NATO Beitritt von Schweden und Finnland führt zugleich die extremen Defizite Deutschlands in Bezug auf eine notwendige gesellschaftliche Resilienz vor Augen. Einer Resilienz, wie sie die sieben ‚baseline requirements‘ für die Zivilgesellschaft vom Warschauer NATO Gipfel 2016 vorgeben. Sie reichen von einer resilienten Energie-, Wasser und Lebensmittelversorgung bis zur Absicherung von Kommunikations- und Transportsystemen, und schließen die Fähigkeit zur Versorgung von unkontrollierten Migrationsbewegungen und MANV ein.

Direkt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben beide Länder Strukturen im Kalten Krieg aufgebaut, die eine totale Verteidigung ermöglichte. In Schweden gehörte dazu nicht nur die an alle Haushalte verteilte Broschüre „Wenn der Krieg kommt“ (heutzutage erweitert um das Wort: Krise), sondern ein aktiver und flächendeckender Heimatschutz. Freiwillige bilden ein breites Netz verschiedener Qualifikationen, die von der Aufrechterhaltung der öffentlichen Kommunikation bis zur Versorgung von Nutztieren reicht. Zivile Organisationen spiegeln und ergänzen die militärischen Strukturen, wie den Transport von zivilen Verletzten oder den Schutz der Zivilbevölkerung.

Zu Beginn der 60er Jahre waren rund drei der ca. acht Millionen Einwohner in die totale Verteidigung eingebunden, was abzüglich Hochbetagter und Kinder mehr als die Hälfte der Bevölkerung bedeutete. Den wesentlichen Unterschied markiert jedoch, dass die zivilen Führungskräfte gemäß ihrer Qualifikation auch gleichzeitig eine fest zugeteilte Rolle in dem militärischen Gefüge besaßen. Im Verteidigungsfall hatte vom Handwerker, über den Journalisten, bis zum Regierungsmitglied jeder einen festen Platz und konnte für seine dann anfallenden Aufgaben auf ein eingeübtes Netzwerk zurückgreifen. Er besaß also zugleich ein Verständnis für militärische Strukturen und Notwendigkeiten. Zugleich wurden die Unternehmen nach ihrer Systemrelevanz eingeteilt und in diese Krisenstrategie aktiv eingebunden. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden viele dieser Maßnahmen heruntergefahren, aber diese Strukturen existieren spürbar bis in die Gegenwart.

In Finnland dauert heute der Basiskurs zur nationalen Verteidigung 3-5 Wochen, kann aber durch weitere Auffrischungskurse erweitert werden. Absolventen können sich der National Defence Course Association anschließen, die gezielt Seminare und Studienreisen anbietet. Angesprochen werden sollen Führungspersönlichkeiten aus allen Bereichen, von Journalisten, Künstlern, Gewerkschaftern bis zu Angehörigen des Parlaments.

Aktuell haben in Finnland 9.300 Führungspersonen einen National Defence Course absolviert, 88 Prozent davon sind Zivilisten. In dem Regierungskabinett waren (Stand 2019) von 18 Ministern 15 Teilnehmer dieses Kurses, von den 200 Parlamentsangehörigen waren es mehr als die Hälfte, also 122 Teilnehmer. Sollte also eine wie auch immer geartete Krise ausbrechen, so gibt es in jedem Sektor Führungskräfte, die mit der Konzeption der Total Defence vertraut sind, die in dieser Organisationsstruktur der Verteidigung ihren Platz einnehmen und zugleich untereinander vernetzt sind. In ihrer Doppelfunktion können sie ihre zivilen Fähigkeiten und Qualifikationen direkt in der nationalen Verteidigung nutzen und kritische Infrastruktur besser schützen.

Beide Beitrittskandidaten punkten damit durch ihre eng vernetzte Gesellschaft, die in einer Krisensituation bereit ist zusammenzustehen und dazu auch befähigt ist. Das ist ein weiterer wichtiger Aspekt, denn in der hybriden Kriegsführung zählt nicht allein die Größe der bewaffneten Armee, sondern ob diese von einer vereinten und resilienten Bürgerschaft getragen wird. Dieses Modell wurde übrigens von Estonia aus, die mit dieser Form der Kriegsführung ihre eigenen Erfahrungen machen mussten, 2008 auch in Georgien implementiert.

Resilienz bezieht sich auf die Infrastruktur der zivilen Versorgung (Ernährung und Medizin), die Redundanz der Netzwerkstrukturen und der Energieversorgung, sowie die Vorbeugung von Radikalisierungen und Sicherstellung der Presse- und Meinungsfreiheit. Dieser Ansatz einer hybriden Sicherheitspolitik ist in Deutschland nicht verankert und stellt daher eine systematische Verwundbarkeit dar. Bei der Ukraine-Krise konnte festgestellt werden, dass die zu geringe Freiwilligenzahl zu einer Überlastung führte, die Kontrolle über die Migration verlorenging und die Berichterstattung zu stark eingeschränkt wurde, was zu einer Polarisierung geführt hat. Derzeit stehen sich die Meinungen in der Bevölkerung zur Beendigung des militärischen Konflikts in einem Verhältnis von 50:50 gegenüber.

Fazit

Wir müssten in Deutschland erst entdecken, dass jeder von uns einen Teil zur nationalen Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit beitragen könnte und dafür gezielt die bestehenden Strukturen ändern, also die Lernfähigkeit in beiden Richtungen der ZMZ öffnen. Wenn der private Sektor nicht in die Resilienzstrategie der Regierung eingebunden ist, bedeutet das für einen Gegner, dass er die Wirtschaft des Landes, aber auch die Bürger offener Demokratien attackieren kann. Eine ernsthafte Verteidigungsfähigkeit kann nur durch eine enge Verzahnung von Zivilgesellschaft und Militär erreicht werden, ansonsten bleibt die Gesellschaft eine leichte Beute für unterschwellige Gray-Zone Aggressions. Resilienz als Basis der Verteidigungs- und Abschreckungspolitik ist eine prägnante nationale Herausforderung der hybriden Kriegsführung.


Bild: Auschnitt aus dem Buchcover „The Defender’s Dilemma“

Quelle für die Angaben zu Schweden und Finnland: Elisabeth Braw, The Defender’s Dilemma. Identifying and Deterring Gray-Zone Aggression, AEI, 2021.

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